Philipp
Gufler
19.06. – 31.07. 2016
Setz dein Ich in Anführungsstriche
Mit »Setz dein Ich in Anführungsstriche« präsentiert der Kunstverein
Göttingen Philipp Guflers erste institutionelle Einzelausstellung. Der
Titel bezieht sich auf Hubert Fichtes »Versuch über die Pubertät«
(1974), der mit den Worten »Setz doch dein Ich in Anführungsstriche –
nenn dich ›Roman‹« seiner literarischen Annäherung auch eine analytische
Distanz zur Seite stellte, um die eigene (zum Teil autobiografische)
Herangehensweise infrage zu stellen. Mit einer ähnlichen Geste nähert
sich Philipp Gufler den Inhalten der Ausstellung an: Guflers Arbeiten
beschäftigen sich unter anderem mit zwei künstlerischen Positionen der
70er und 80er Jahre – Rabe Perplexum in München und Ben d’Armagnac in
den Niederlanden – deren Performances und künstlerisches Werk heute nur
in Bruchstücken rezipiert werden können. Es ist ein persönlicher Zugang,
der trotz großer Nähe eine künstlerische Distanz wahrt; eine
Überlagerung, ohne dass sich die eigene Künstleridentität in den Sujets
auflöst.
Die Annäherung an die beiden Positionen erfolgt bei Gufler nicht nach
kunsthistorischen Regeln oder durch Reenactments, stattdessen versucht
er eine Art künstlerische Dopplung zu schaffen. Es geht ihm nicht um das
(Wieder-)Auf- führen der Performances, sondern darum, mit den Mitteln
der eigenen künstlerischen Praxis die Persona hinter der Performance
auszuloten. »Becoming-Rabe« heißt eine Videoinstallation, in der Gufler
die Rolle der Künstlerin Rabe Perplexum übernimmt. Die resultierende
Verschmelzung der Identitäten passiert nicht linear, sondern durch eine
poetische Mimesis, die durch Archivaufnahmen und Rabes
Performance-Requisiten aufgebaut wird.
Das Motiv der Dopplung oder Überlagerung zieht sich wie ein roter
Faden durch den Ausstellungsraum. Durch das Zusammenbringen
verschiedener Ebenen, sowohl visueller als auch zeitlicher und
identitärer, bricht Gufler mit einem üblichen (wissenschaftlichen)
Geschichtsverständnis. Indem er die beiden Künstleridentitäten nicht als
abgeschlossene, historische Entitäten betrachtet, kann er diese
fortschreiben, um- ändern oder neu anordnen. Philipp Gufler produziert
keine identitäre Festschreibung, sondern verwischt die Grenzen zwischen
dem künstlerischen Selbst und dem Sujet – eine Geste, die in einer Serie
von Quilts wieder aufgegriffen wird und die sich für die
BetrachterInnen auch in einer Reihe an Siebdrucken auf Spiegeln
entwickelt.
»Schwule Sprache ist uneigentlich, ist indirekte Sprache«, schrieb
Fichte über Henry James, sie arbeite mit »Soussentendus, Verfremdungen,
Übertreibungen, Ironie, Travestie«. Gufler greift diese Stilmittel in
seinen Arbeiten auf. Dabei wird er nicht zu einem »Für-Sprecher«,
sondern im Gegenteil zu einem Sprecher, der mit den anderen zusammen
spricht. Er formuliert Andeutungen, die einen Raum für das Werk Rabes
und D’Armagnacs schaffen, und er verfremdet diesen Raum, um mit der
eigenen Sprache die Idee einer Künstleridentität zu destabilisieren.
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»Setz dein Ich in Anführungsstriche« (Put your I in quotation marks)
is Philipp Gufler's first institutional solo show. The title references
Hubert Fichte's "Essay on puberty" (1974) with the excerpt, "Just put
your I in quotation marks – call yourself a ‘novel’", which adds an
analytical distance to his otherwise literary advancements in order to
question his own (partly autobiographical) approach. Philipp Gufler
appropriates a similar gesture when handling the exhibition content: The
work deals with two artistic positions from the 1970's and 80's – Rabe
Perplexum in Munich and Ben d'Armagnac in Holland, whose performances
and artistic oeuvre can nowadays only be perceived fragmentarily. It is
a personal technique, which through its immediacy still manages to
preserve an artistic distance; a layering, without losing the artistic
identity of its subjects.
The method Gufler applies does not follow art historical norms nor
make use of reenactments, instead he attempts to create a kind of
artistic doubling. His interest lies not in the repetition of a
performance, rather he uses his own artistic praxis to sound out the
persona behind the performance. "Becoming-Rabe" is a video installation
in which Gufler takes on the role of artist Rabe Perplexum, wherein the
resulting identity-merge does not occur on a linear basis, but through
poetic mimesis using archival footage and Rabe's performance props.
The motive of doubling and layering is a common denominator
throughout Gufler's exhibition. The merging of layers, visual as well as
temporal and identitarian, manages to break with the common
(scientific) understanding of history. Gufler's disregard of artistic
identities as finalized, historical entities allows him the freedom to
update, change and realign these. His work is not a production of
identitarian fixation, but instead blurs the borders between the
artist's self and the subject – a gesture which is also reflected in his
series of quilts and elaborated on for the viewer in a sequence of
silkscreened mirrors. The resulting reflections within the space add an
additional layer to the exhibition's conceptual discourse.
Fichte wrote of Henry James that, "Gay language is inauthentic, it is
a form of indirect speech", consisting of "innuendoes, alienation,
exaggerations, irony, travesty". Gufler appropriates these stylistic
devices, speaking with them, not for them. Gufler's individual language
of intimations creates a space for the work of Rabe and D'Armagnac,
whilst at the same time defamiliarizing it, in order to ultimately
destabilize any form of artistic identity.
Kuratiert von Anja Lückenkemper
KUNSTVEREIN GÖTTINGEN
im Künstlerhaus
Gotmarstraße 1
37073 Göttingen
ÖFFNUNGSZEITEN
Di-Fr 14-18 Uhr, Sa/So 11-17 Uhr
VERNISSAGE
So, 19. Juni 2016, 11.30 Uhr