Mittwoch, 26. Oktober 2022

Kunstpreis der Landeshauptstadt München an Cosy Pièro


Liebe Gäste der Feiergesellschaft,
Liebe Cosy Pièro,

Ich freue ich heute ganz besonders als Künstler die Laudatio für den Kunstpreis der Landeshauptstadt München für das Lebenswerk von Cosy Pièro zu halten.

Von Cosy Pièro habe ich zuerst durch meine künstlerische Recherche am selbstorganisierten Forum Queeres Archiv München gehört, an dem ich seit 2013 zu queerer Geschichte forsche. Sofort war ich von ihrem Werk fasziniert und hörte im Forum in Zeitzeuginnen-Gesprächen von ihrer beeindruckenden Lebensgeschichte: Cosy Pièro wurde 1937 in Köln geboren. Ihr Urururgroßvater war der flämische Freiheitsdichter Hendrik Conscience, ihr Vater, der 1941 verstarb, arbeitete als Schauspieler und Kabarettist, ihre Mutter als Model und Tänzerin. Nach verschiedenen Wohnsitzen mit ihren Eltern in Prag und Österreich besuchte Cosy die Volksschule in Köln. Bereits als 14-jährige ging Cosy von zu Hause weg und entschied sich, Kunst zu studieren; Eine besondere Entscheidung als junge Frau in den 1950er Jahren, an der sich bereits ihre außergewöhnliche Unabhängigkeit, ihr Freiheitsdrang und ihre Selbstständigkeit erkennen lässt. Sie hatte Erfolg und studierte von 1952 bis 1957 Malerei und Keramik an der Kunstgewerbeschule in Köln, an der Königlich-Belgischen Akademie in Brüssel und der Picasso-Schülerwerkstatt in Vallauris in Südfrankreich.

In Südfrankreich lebte Cosy Pièro mit dem Formel-1-Rennfahrer Jean Pitont zusammen. Bereits während der Beziehung mit ihrem toleranten Partner führte Cosy wieder Beziehungen mit Frauen. Als sie ihr drittes Kind erwartete, verunglückte Jean Pitont in Cannes tödlich auf der Rennstrecke. Daraufhin zog sie zurück nach Deutschland und lebte fortan als alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn Jean-Pierre in München. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten gründete Cosy 1962 die legendären Künstler*innen-Bar „Bei Cosy“. Sie wollte nie eine lesbische Frauenbar eröffnen, sondern ein Lokal: „in dem sich alle Existenzen mischten, sich miteinander wohlfühlten, sich kennenlernten und gegenseitig tolerierten. Das war zunächst einmal etwas Neues.“1 Alle zwei Monate fand ein großes Fest statt, bei denen sich alle zum jeweiligen Thema verkleideten und bereits Drag Queens und Kings performten. Damit auch die Sonntagabende gut gefüllt waren, komponierte Cosy die Chansonlieder „Babettchen“, „Haben Sie das auch?“, „Raunz nicht“, „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ und „Wen hast du Lieb“, die sie, zusammen mit Meike Illig am Piano, aufführte.

Lokale, die von Künstler*innen geleitet und gestaltet werden und als soziale Treffpunkte funktionieren, sind in der Kunstgeschichte keine Seltenheit. Auch während ihrer Bartätigkeit arbeitete Cosy als Künstlerin: „Gastronomin und Künstlerin war ich gleichzeitig. Für mich gehörte das immer zusammen.“2 Im „Bei Cosy“ und anderen queeren Bars zeigte sie ihre berüchtigte Serie von Zeichnungen, die 1963 aufgrund des bayerischen „Schmutz und Schundgesetzes“ beschlagnahmt und höchstwahrscheinlich vernichtet wurden. Die Zeichnungen zeigten zum Beispiel Katzen mit Frauenköpfen und riesigen Brüsten, die verschiedene Handlungen miteinander vollzogen. Nachdem ich nach verschiedenen Recherchen in Polizeiarchiven in München die Zeichnungen nicht ausfindig machen konnte, zu vielen Akten wurde uns der Zugang wegen eines Schimmelbefalls leider verwehrt, entschied ich mich zusammen mit dem Künstler Richard John Jones 2015 das „Bei Cosy“ im Kunstraum Lothringer13_Florida in München und 2017 im Rongwrong in Amsterdam als temporäre queere Bar wiederzueröffnen. Die eingeladenen Künstler*innen wurden gebeten, auf die verlorenen Werke von Cosy Pièro als Geste der Solidarität zu reagieren und gleichzeitig diese Werke aus ihrer eigenen Perspektive neu zu erfinden und zu interpretieren. Von Cosy zeigten wir die Arbeit „Vielleicht Haben Wir Solch Grosse Sehnsucht Ja Verdient ?!–“ von 2007, ein handgeschriebener Schriftzug in weißer Kreide auf einer trapezförmigen Schiefertafel.

Seit unserer Zusammenarbeit für die temporären „Bei Cosy“-Bars in München und Amsterdam bin ich mit Cosy und ihrer Ehefrau Anne Osmers ungeachtet unseres Altersunterschieds befreundet. Ich bin glücklich, dass ich dadurch auch immer besser ihr künstlerisches Werk kennenlernen konnte und habe sie in ihrem ehemaligen Atelier in der Dachauerstraße besucht. Als ich einige Jahre zuvor nach München gezogen bin, um an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren, war ich enttäuscht wie heteronormativ und sexistisch viele der Studierenden und der fast ausschließlich männlichen Professor*innen waren. Die Freundschaft mit Cosy und Anne und weitere Begegnungen am Forum Queeres Archiv München bedeuten mir so viel, da sie so etwas wie eine queere Kunst-Familie für mich geworden sind.

Ich konnte die letzten Jahre so viel von Cosy und ihrem Werk seit den 1960er Jahren lernen. Auch wenn sie sich in den letzten knapp sieben Jahrzehnten als Künstlerin immer weiterentwickelt hat, bleibt ihre eigene Handschrift dabei immer deutlich. Cosys Werk erstreckt sich über verschiedene Ausdrucksformen wie Malerei, Performance und Aktionskunst, Künstlerinnenbücher, Poesie, Skulpturen, Installationen und Videokunst. Ihr favorisiertes Medium blieb dabei aber immer die Arbeit auf Papier. In den bereits beschriebenen erotischen Zeichnungen und weiteren Arbeiten aus den 1960er und 1970er Jahren sieht man noch stärkere surrealistische Einflüsse als in ihrem späteren Werk. Gerade die sinnlichen, oft homoerotischen Darstellungen von Frauen in dieser Schaffensphase, die von sexuellen Zwängen befreit sind, scheinen überraschend in einer Zeit, in der die neuen feministischen Bewegungen der 1970er Jahre weibliche Sexualität wenig offen oder meist bieder darstellten.

Anfang der 1980er Jahre übergab sie nach zwanzig Jahren das „Bei Cosy“ an ihre damalige Lebensgefährtin und konzentrierte sich wieder ausschließlich auf ihre Kunst. Ihr Werk aus dieser Zeit lässt spürbar werden, dass sie als Künstlerin viel nachzuholen hatte. In den 1980er Jahren entstanden großformatige Malereien, überlebensgroße Skulpturen und raumfüllende Installationen. Auf dem Plakat zu ihrer Einzelausstellung 1985 in der Dany Keller Galerie sehen wir Cosy Pièro in weißem Overall und weißen Sneakern vor vier 2,40 m großen Figuren sitzen. Die Figuren sind aus schwarz angemalten Holzplatten ausgeschnitten und jeder Figur steckt eine echte, gefaltete Zeitschrift oder Zeitung in einem Schlitz im Kopf. Die 5,60 auf 1,60 m große Malerei auf Holz „Cosmogram“ zeigt gelbe Silhouetten, gemalt mit schwungvollem Pinselstrich. Eine weitere sinnlich-figürliche Malerei aus 1984 ist die Arbeit „Auch Erdbeeren zünden“, auf der eine Erdbeere mit brennender Zündschnur im Genitalbereich zu sehen ist. Im dazugehörigen Ausstellungskatalog in der Dany Keller Galerie veröffentlicht Cosy auch eigene Gedichte.

1985 erhält sie den Förderpreis der Stadt München und im selben Jahr wird eine Dokumentation von Gabriele von Arnim über Cosy im ZDF in der Reihe „Frauengeschichten“ ausgestrahlt. In den nächsten Jahren folgen viele weitere Einzelausstellungen, unter anderem in der Galerie Rosenberg in Zürich, Galerie Jan van Tuyek in Gent in Belgien, Messebeteiligungen auf der Kunstmesse Art Cologne, Art Basel und Art International Zürich und zahlreiche Gruppenausstellungen in Deutschland, Niederlande, Kroatien, Italien und Belgien. Arbeiten von Cosy befinden sich unter anderem in der Sammlung der Schweisfurth-Stiftung, in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, im Deutschen Ledermuseum in Offenbach und im Beck-Forum in München. Am U-Bahnhof Brudermühlstraße in München wurden 1988 zwei ihrer Werke im öffentlichen Raum installiert, die noch heute zu sehen sind. An der Gleiswand hängen zwei Figuren aus Metallblech – eine gold, eine silbern, die sich gegenüberstehen. Ein weiteres Kunst am Bau-Projekt entstand 1985 am Flughafen München Riem mit der Gestaltung der Werbeflächen am Flugsteig B15 zur Thematik „Mensch+Computer“. Auch nach der Zeit des „Bei Cosy“ pflegt sie weiterhin den Kontakt zur queeren und feministischen Szene in München und gestaltete das Plakat zur lesbisch-schwulen Kulturwoche „München leuchtet VioRosA“, die 1985 im Münchner Stadtmuseum, im Lenbachhaus und dem Vollmar-Haus stattfand und vom ehemaligen Stadtrat Gerd Wolter organisiert wurde.




Seit den 1990er Jahren entstanden neben abstrakteren Arbeiten auf Papier und Leinwand auch weitere mit Text auf Leder, Stoff oder anderen Objekten, bei denen sie mit großer Sensibilität und Humor mit Sprache umgeht, aber auch ihre eigenen Zweifel mit uns teilt. Auf einem Werk aus einer Fliegenklatsche aus Holz und Gummi steht der handgeschriebene Text „Der liebe Gott hat mit nix was zu tun“. Auf einem Kunstwerk aus einem Kissen sind die handgeschriebenen Wörter „Beruhig dich“ gedruckt, und auf einem Paar Lederschuhen ist in Klebeschrift „Gehen Lassen“ geschrieben. 2004 veröffentlicht Cosy die CD „Ein Tröpfchen Liebe noch …?“ mit poetischen Texten und Aphorismen, die sie selbst eingesprochen hat. Zuletzt hat sie sich in ihrem neuen Projekt „Entwurf für eine neue Sprache“ mit Sprachforschung und einer utopischen Kommunikationsform vor jeglicher Konditionierung des Menschen auseinandergesetzt, die keine negativ besetzten Begriffe wie Gewalt-, Hass-, Schimpf- oder auch Befehlsworte beinhaltet.

Neben ihrer eigenen künstlerischen Tätigkeit hat Cosy immer andere Künstler*innen und Kollektive unterstützt und gefördert. Bereits 1969 eröffnete sie für kurze Zeit die Galerie Cosy in der Cittá 2000 und zeigte Zeichnungen von anderen Künstler*innen. Von 1982 bis 1985 gründete sie die „Werksatt Brücke 7“, in der Ausstellungen stattfanden und sieben Künstler*innen wie Rabe perplexum und dem Performancekollektiv minimal club ein Atelier zur Verfügung gestellt wurde. Cosy kuratierte 1998 die posthume Retrospektive von Rabe perplexum in der Rathausgalerie in München. Die beiden waren eng befreundet und als nach Rabes frühen Tod – bereits mit 39 Jahren – die Wohnung von Rabe perplexum kurz vor der Zwangsräumung stand, kümmerte sich Cosy zusammen mit Elfe Brandenburger und Carmen Marchwinski um Rabes Nachlass, der zunächst in Cosys Atelier zwischengelagert werden musste. Um ihr Engagement für das Werk von Rabe perplexum zu würdigen, haben wir Cosys Zeichnung „Künstleridioten“ aus den späten 1980er Jahren in die Ausstellung „Exzentrische 80er. Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen, Rabe perplexum und Kompliz*innen aus dem Jetzt“ in der Lothringer 13 in München integriert. Cosy Pièro unterrichtete auch andere Künstler*innen in der Werkstatt für Kunst und Kultur in Fratte Rosa in Italien und an verschiedenen Orten in München. Zuletzt hat sich Cosy Pièro im Städtischen Atelierhaus Dachauerstraße München engagiert und in verschiedenen Zeitzeuginnen-Gesprächen in queer-feministischen Kontexten unermüdlich jungen Menschen aus ihrem Künstlerinnenleben berichtet. Besonders eine junge und queere Künstler*innengeneration kann sich mit ihrem eigenständigen Werk, ihrem Mut, ihrer Sensibilität und ihrer Maxime identifizieren: „Macht es öffentlich, je öffentlicher, desto besser."

Ich kann dem letzten Satz der Jurybegründung für diesen Kunstpreis der Landeshauptstadt München für Cosy Pièros Lebenswerk vollkommen zustimmen: „Der Kunstpreis der Stadt würdigt die Leistung einer einflussreichen Künstlerin und Person, die nie die institutionelle Beachtung erhalten hat, die sie verdient.“ Nachdem der Jury neben Politiker*innen auch Direktor*innen und Kurator*innen aus dem Museum Brandhorst, Museum Villa Stuck, Kunstverein München, Haus der Kunst, Lenbachhaus und der Sammlung Goetz angehörten, hoffe ich, dass einer institutionellen Würdigung ihres Werkes nun endlich nichts mehr im Weg steht. Zu lange wurden queere und weibliche Künstler*innen unterproportional in staatlichen und städtischen Organisationen repräsentiert oder ganz übersehen. An der Akademie der Bildenden Künste in München wurde nach dem zweiten Weltkrieg erst 1995 eine weibliche Künstlerin als Professorin in einer freien Kunstklasse berufen. Es gibt noch viel zu tun und nachzuholen! Es gibt noch so viele weitere Werke von Cosy wiederzuentdecken, die ich in dieser Laudation aus Zeitgründen nicht erwähnen konnte!

Liebe Cosy, ich freue mich besonders, dass wir seit einem halben Jahr wieder zusammenarbeiten können. Zusammen mit den Künstler*innen Jan Erbelding, Leo Heinik und Maria VMier arbeiten wir an einer neuen Ausgabe des „Ruine Magazins“, das in kürze erscheint und neben historischen Fotos aus der einflussreichen „Bei Cosy“ Bar auch Kunstwerke von dir zeigt, die während und nach deiner Bartätigkeit entstanden sind. Du bist für mich als jüngerem Künstler ein großes Vorbild. Ich bin dir dankbar für deine Unterstützung, die vielen Begegnungen als Freund*innen und Kunstkolleg*innen und das gemeinsam Erlebte in den letzten acht Jahren. Ich bewundere dich für deinen außergewöhnlichen Mut, deine Offenheit, deinen Humor, deine Lebensfreude und dein Durchhaltevermögen. Ich freue mich, mit dir diese große Würdigung deines Werks am heutigen Abend feiern zu können, die bereits so lange aussteht.

Liebe Cosy, Danke für deine Kunst!

1 Bei Cosy, von Cosy Pièro, Ankündigungstext der temporären Bar im Rongwrong in Amsterdam, 2017
2 Cosy Pièro erhält den Kunstpreis der Stadt für ihr Engagement ‒ So prägte sie München in den 60ern und 70ern, von Daniela Borsutzky, Hallo München, 21.09.2022

von Philipp Gufler

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